Zur Medialität des Computerspiels
 
 
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt fokussiert auf Computerspiele als dasjenige Medium, welches für das 21. Jahrhundert einen ähnlichen Rang einnimmt wie der Film für das 20. Jahrhundert: Es ist nicht nur das neue Medium schlechthin, sondern auch ein Medium, für das es neuer Beschreibungs- und Analysekategorien bedarf. Die Untersuchung nimmt ihren Ausgang bei der Medialität der Spiele, das heißt sowohl bei ihren ästhetischen als auch mathematischen und technischen Strukturen. Ihr Vermittlungscharakter bildet zugleich die Bedingung der jeweiligen vom Spieler allererst zu realisierenden Spielzüge im Sinne ebenso ludischer wie narrativer Performanz.

Der Ansatz ist dabei ein fünffacher:
1. geht das Projekt von der These aus, dass für die Medialität von Computerspielen das simulative Bild und seine spezifische Raumstruktur konstitutiv ist,
2. wird diese Raumstruktur als „hodologische“, das heißt wege- bzw. pfadorientierte Ordnung beschrieben, deren Grundlage wiederum in der mathematischen Entscheidungslogik als basale Programmstruktur zu suchen ist. Ablesbar wird dies insbesondere an der labyrinthischen Organisation der meisten Spiele, selbst dort, wo inzwischen scheinbar weitgehende Bewegungsfreiheit besteht. Das technische Korrelat dieser Struktur bilden
3. die gleichermaßen auf Entscheidungslogik angelegten Hardware-Bedingungen, die wiederum auf eine elementare Auge-Hand-Koordination angelegt sind. Sie erlaubt damit
4. eine Rekonstruktion der Spielhandlungen aus kleinsten Einheiten in Form „multifaktorieller Matrizen“, welche – zusammengesetzt aus Software- und Hardware-Bedingungen – Spielregeln, visueller Raumordnung und „interaktiver“ Navigation, jeweils performative „Versionen“ von „Spiel-Erzählungen“ erzeugen. Das Projekt, das sich als medientheoretisches Grundlagenforschung versteht, versucht somit
5. den Gegensatz zwischen „Ludologie“ und „Narratologie“ zu überwinden, indem digitale Spiele als entscheidungslogisch determinierte „Interaktionen“ mit dem Bild verstanden werden, in denen jeder Spielzug an der Generierung singulärer Narrative mitarbeitet.

Ziel des Projekts ist also eine Kritik des Computerspiels im Sinne der „Eingrenzung seines Möglichkeitshorizonts“. Das Projekt sucht diese Kritik in Form von zwei Unterprojekten anzugehen: zum einen durch die Untersuchung der 3D-Visualisierungen mit ihrer speziellen Bild-, Raum- und Blickstruktur; zum anderen durch die Analyse der gespielten Aktionsstruktur in Bildern auf der Grundlage kleinster Aktionseinheiten, welche die ebenso fiktionalen wie narrativen und ludischen Möglichkeiten des Spiels jeweils performativ generieren. Es handelt sich damit um die Untersuchung des Navigierens in einem Bild-Raum, welches im Vollzug zugleich fiktional-imaginäre und narrativ-logische Züge realisiert, wobei das technische Korrelat der Navigation in der Steuerung des Geräts besteht. Genau dieser Zusammenhang ist bislang nicht explizit zur Grundlage der Analyse von Spielsituationen gemacht worden. Ferner erlaubt der Ansatz, die Rezeptionsseite des Spielers mit der Produktionsseite der Designer und Programmierer zusammenzuschließen.

Prof. Dr. Dieter Mersch, Dr. Stephan Günzel, Michael Liebe (M.A.)
 
   
Computer Games Collection
 
 
Längst sind Computerspiele zu einem bedeutenden und einflussreichen Medium unserer Zeit geworden. Dennoch ist es ungeachtet seiner gesellschaftlichen Stellung noch weitestgehend unerforscht, geschweige denn systematisch erfasst oder kategorisiert.
Dies hat mehrere Gründe. Eine zwingende Voraussetzung für den offensichtlich notwendigen akademischen Zugang ist allerdings die Möglichkeit des direkten Zugriffs auf den Untersuchungsgegenstand.

Der Studiengang "Europäische Medienwissenschaft" am Institut für Künste und Medien der Universität Potsdam legt mit dem Aufbau einer Computerspiel-Sammlung dieses grundlegende und zentrale Fundament für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema "Computerspiel".

Dank eigener Anschaffungen und insbesondere der umfangreichen Stiftung des Hamburger Journalisten Carsten Görig hat die "Europäische Medienwissenschaft" heute eine knapp 2000 Titel umfassenden Sammlung sowohl an aktuellen als auch historisch relevanten Computerspielen.

Im Rahmen des DFG-Projekts "Medialität des Computerspiels" hat daraufhin im Wintersemester 2006/07 die Erfassung und Katalogisierung dieser Spiele begonnen.
Hierzu werden von den Studierenden und Lehrenden gemeinsam dem neuen Gegenstand angemessene Kategoriensysteme entworfen, wodurch der Fokus zunächst der medienwissenschaftlichen Prämisse entsprechend auf ästhetischen, kulturellen und technologischen Gesichtspunkten liegt. Demzufolge werden unter anderem Fragen nach Regelstrukturen, narrativen Prozessen, Modifizierbarkeiten, Raumdarstellungen oder Zeitlichkeit aufgeworfen, Lösungsansätze analysiert und geprüft, sowie Methoden der dauerhaften Archivierung entworfen. Ein wesentliches Ziel ist es dabei den Bestand der aktuellen Forschung und Lehre, aber auch zukünftigen Generationen auf möglichst vielfältige und zugleich effiziente Weise zugänglich zu machen.

Das Projekt ist langfristig angelegt und soll kontinuierlich erweitert werden.
Im Rahmen der Arbeit des Zentrums für Computerspielforschung, digarec, soll in Zukunft das Ordnungssystem an die verschiedenen Forschungsperspektiven angepasst werden.

Aktiv unterstützt wird die Arbeit unter anderem durch Andreas Lange vom Computerspielemuseum Berlin und dessen Träger, das Institut für digitale interaktive Kultur unter der Leitung von Dr. Klaus Spieler, sowie dem Fachbereich Interfacedesign der Fachhochschule Potsdam, vertreten durch Matias Ljungstrøm.


Leitung: Michael Liebe
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Teilnehmer 2007: Sebastian Bernekin, Kathleen Friedrich, Joël Kaczmarek, Hannes Maurer, Sebastian Möring, Stefan Saffert, Christian Schneider, Michael Schuon, Stefanie Sommerfeld, Daniel Vender